Characeen-Tagung 2007: 12.–14. Oktober in Stockstadt Hessen
Characeen-Tagung 2007 – 12.–14. Oktober in Stockstadt
Hessen
Die Tagung fand auf Einladung von Egbert Korte in rustikalem, aber sehr angenehmen Rahmen im ehemaligen Pferdestall des Gutes Guntershausen auf dem hessischen Kühkopf statt. Der Kühkopf ist eine bei der Rheinkorrektur Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschnittene Flussschlinge. Nach dem Bruch eines Sommerdeichs in den 80er Jahren wurde die intensive Landwirtschaft auf dem Kühkopf aufgegeben und großflächig Äcker in Grünland umgewandelt. Sowohl auf dem Kühkopf selbst, als auch an weiteren Stellen der Rheinaue in der näheren Umgebung gibt es sehr artenreiche Characeen-Gewässer. Die durchgeführten Exkursionen waren deshalb für alle Teilnehmer voller interessanter Beobachtungen. An der Tagung nahmen 24 Personen teil, darunter auch Gäste aus den Niederlanden und der Schweiz.
Vorträge:
T.
Gregor & U. Raabe: Zur Benennung der „Kleinsten Glanzleuchteralge“
Es konkurrieren der für ein Taxon aus dem Berliner Raum gültige Name Nitella
nordstedtiana H. & J. Groves [= N. batrachosperma A. Braun nom.
ill. non N. batrachosperma (Thuill.) Agardh] mit der aus der Normandie
beschriebenen Nitella confervacea (Bréb.) A. Braun ex Leonhardi. Leider
konnte bisher kein Originalmaterial von N. confervacea untersucht
werden. Entsprechendes Material in Leiden ist nach Mitteilung von Joop
van Raam momentan nicht auffindbar. Bis zum Beweis des Gegenteils sollte
Krause gefolgt werden, der die beiden Namen synonymisiert. Der gültige
Name ist dann Nitella confervacea.
I.
Blindow: Schwedische Artenschutzprogramme für Characeen
In Schweden stehen sechs Artenschutzprogramme für bedrohte Characeen
kurz vor der Verabschiedung durch die Swedish Environmental Protection
Agency. Sie umfassen folgende Arten: Chara horrida, Lamprothamnium papulosum
(Brackwasser und Meer); Chara filiformis, C. rudis, Nitellopsis obtusa
(kalkreiche Seen); Nitella capillaris, Tolypella glomerata, T. intricata
(Kleingewässer/periodische Gewässer); Nitella translucens, N. mucronata,
N. gracilis, N. syncarpa, N. confervacea (Seen und Kleingewässern);
Chara connivens und C. baueri; Tolypella canadensis. Der erste, für alle
Programme gemeinsame Teil umfasst v.a. Ausbildung in der Artbestimmung
der Characeen und ist bereits abgeschlossen. Auch die spezifischen Maßnahmen
für die einzelnen Programme sind bereits angelaufen, Inventarisierungen
und Kartierungen nehmen dabei einen überwiegenden Teil ein. Die Programme
sind nach der Verabschiedung auf www.naturvardsverket.se
als pdf frei zugänglich (Schwedisch, englische summary).“
U.
Raabe: Bemerkenswerte Characeen auf Äckern in Brandenburg
2006 konnten in verschiedenen wassergefüllten Ackersenken in Brandenburg,
vor allem in der Uckermark verschiedene Characen festgestellt werden.
Besonders bemerkenswert waren ein Fund von Tolypella prolifera und zwei
Nachweise von Chara baueri. Chara baueri war mit Elatine alsinastrum und
anderen Arten ephemerer Wasserstellen vergesellschaftet. Herbarbelege
der Sippe wurden präsentiert. Die weltweite Verbreitung umfasst neben
wenigen historischen Funden in Mitteleuropa und Südschweden nur ein aktuelles
Vorkommen in Kasachstan. Bei der australischen Chara muelleri, die oft
zu Chara baueri gestellt wird, handelt es sich auch nach Auskunft von
Joop van Raam um eine eigene Art.
E.
Korte: Interessante Characeen-Funde aus Hessen
Der Riedsee bei Leeheim und der See am Weilerhof bei Wolfskehlen,
beide in der Oberrheinebene gelegen, weisen eine artenreiche Characeen-Flora
auf. Besonders bemerkenswerte Arten sind Nitella confervacea, Nitella
tenuissima und Tolypella intricata. Im Borkener See, einem Restgewässer
des Braunkohlentagebaus im nordhessischen Mittelgebirgsraums, wurden Chara
polyacantha und Nitellopsis obtusa nachgewiesen.
J.
van Raam: Characeen in den Niederlanden
Einige Aspekte zu Vorkommen niederländischer Characeen, ausführlich dargestellt
im „Handboek Kranswieren“ werden vorgetragen. Bemerkenswert ist z. B.
die starke Zunahme von Nitella translucens in neu angelegten Gewässern
in Moorgebieten.
H.
Korsch: Verbreitungskarten von Characeen in Deutschland
Für eine Anzahl von Beispiel-Arten wurden nach den eingegangenen Daten
Verbreitungskarten erstellt. . Durch das Fehlen von Daten aus Bayern,
Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern
haben die Karten allerdings noch provisorischen Charakter. Eine „interne
Publikation“ der bis zum 31. 3. 2008 vorliegenden Daten wird für das nächste
Jahr angestrebt.
Themenbereich Rote Liste:
Eine Taxaliste liegt mittlerweile vor. Offen bleibt, ob Lamprothamnium sonderi als eigenständige Sippe anzusehen ist. Solange dies nicht geklärt ist, wird diese Sippe in der Roten Liste weiter berücksichtigt. Bisher liegen aktualisierte Rote Listen für Hessen, NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen vor.
Angela Doege und Peter Wolff stellen nach dem „BfN-Werkzeug“ erstellte Gefährdungseinschätzungen für Sachsen beziehungsweise Rheinland-Pfalz/Saarland dar. In einer ausführlichen Diskussion werden besprochen:
· Häufigkeitsangaben für Characeen sollten sich an absoluten Häufigkeiten orientieren, danach dürfte in den meisten Bundesländern auch die häufigste Art nur die Klasse „mh“ (mäßig häufig) erreichen. Damit wird eine Vergleichbarkeit mit anderen Artengruppen gewährleistet.
· Für den langfristigen Bestandstrend soll der Zeitraum 1850 (es wurde auch für 1800 plädiert) bis heute zugrunde gelegt werden.
· Für den kurzfristigen Bestandstrend soll der Zeitraum 1980 bis heute zugrunde gelegt werden.
· Die aktuelle Bestandssituation gründet sich auf nach 1990 erhobene Daten.
· Spezielle Risikofaktoren nach der Definition des BfN sind für Characeen nicht a priori vorhanden. Bisher schon wirkende Risikofaktoren sind in den RL-Einstufungen berücksichtigt. Laut Vorgabe durch das BfN sind Risikofaktoren nur anzunehmen, wenn davon auszugehen ist, dass sich einer der Rückgangstrends in den nächsten 10 Jahren um mindestens eine Kategorie verschärft und/oder neue Risikofaktoren auftreten werden.
·
Kontrovers wurde die Einschätzung der Gefährdung von Characeen in Bundesländern
ohne pleistozäne Seen diskutiert. Hier stehen dem umfangreichen Verlust
an Auengewässern in großem Maße in den letzten Jahrzehnten entstandene
Abgrabungsgewässer entgegen. Diese beherbergen teilweise sehr individuen-
und artenreiche Characeen-Bestände. Die generelle Gefährdungssituation
derartiger Gewässer ist schwer abschätzbar, einerseits gibt es Beispiele
für offenbar seit Jahrzehnten stabile Characeen-Bestände in als Angel-
und Badegewässern genutzten Seen, andererseits sind Beispiele für schnelle
Eutrophierung durch Angelnutzung bekannt.
Exemplarisch sei das Beispiel von Nitellopsis obtusa in Hessen angeführt.
Die Art wurde in Hessen erstmals im Jahre 2000 nachgewiesen, mittlerweile
sind 8 Vorkommen bekannt, wovon zwei während der Tagung gefunden wurden.
Der langfristige Bestandstrend wurde einerseits als unbekannt eingeschätzt,
andererseits als „mäßiger Rückgang“, da angenommen wird, dass die Art
früher in Auengewässern der Rheinaue sehr häufig vorkam. Der kurzfristige
Bestandstrend kann als gleichbleibend, ev. sogar als ansteigend, eingeschätzt
werden. Teilweise wurde für die Annahme eines Risikofaktors plädiert,
da die Sekundärstandorte durch Eutrophierung bedroht sind.
aktuelle Bestandssituation:
sehr selten
sehr selten sehr selten
langfristiger Bestandstrend:
unbekannt mäßiger Rückgang mäßiger Rückgang
kurzfristiger Bestandstrend:
gleichbleibend gleichbleibend gleichbleibend
Risikofaktor
keiner keiner Risikofaktor
Ergebnis:
Ungefährdet
Gefährdet Stark gefährdet
Ähnliche Probleme ergeben sich für Nitella capillaris, Nitella confervacea,
Nitella tenuissima und Tolypella intricata in Hessen.
Es wurde auch generell die Frage gestellt, ob das BfN-Schema für Characeen
überhaupt sinnvoll anzuwenden ist. Einerseits fehlen in der Gruppe für
viele Gebiete für große Zeiträume des 20. Jahrhunderts Daten, andererseits
hat sich die Gewässersituation in vielen Gebieten in den letzten Jahrzehnten
bedingt durch den Abbau von Bodenschätzen (Kies, Sand, Braunkohle) grundlegend
verändert. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Fähigkeit von
Characeen zum Aufbau langlebiger Diasporenbanken und dem ephemeren Auftreten
vielen Arten.
·
Die geforderten Zusatzinformationen sollten vorwiegend auf Bundesebene
bearbeitet und ggf. für einzelne Bundesländer angepasst werden.
· Für die Bundesliste wäre die informative Angabe der Einstufungen nach IUCN-Kriterien wünschenswert, um eine internationale Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
Bestimmungsworkshop
· Klaus van de Weyer stellt einen elektronischen Bestimmungsschlüssel (Klaus van de Weyer und Carsten Schmidt, Version 1.1 vom 20. 5. 2007: Bestimmungsschlüssel für die aquatischen Makrophyten (Gefäßpflanzen, Armleuchteralgen und Moose) in Deutschland und eine Bilddatenbank zu Characeen vor. CDs mit dem Bestimmungsschlüssel werden verteilt. Der Schlüssel steht auch als Download im Internet unter www.mluv.brandenburg.de/cms/detail.php/bb2.c.416666.de zur Verfügung.
· Ein aktuelles Vorkommen von Chara connivens in Ostfriesland konnte anhand eines Herbarbeleges bestätigt werden (R. Becker).
· Chara rudis scheint auf den in der Weichsel-Eiszeit vergletscherter Bereich beschränkt zu sein. Eine Abtrennung von Chara hispida ist wohl durchgängig möglich. Chara rudis ist deutlich aulacanth, die Stacheln sind meist tief eingesenkt (K. van de Weyer).
· Neben Tolypella intricata wurde in einem Teich am Kälberteicher Hof auch eine Tolypella gefunden, die nach dem Stängeldurchmesser (> 2 mm) und den – soweit erkennbar – ungeteilten sterilen Ästen zu T. prolifera gehört. J. van Raam bestimmte dies Material aber als T. intricata, da die Oosporen-Membran nicht glatt, sondern etwas körnig war. Dies Merkmal ist weder bei Krausch noch bei Migula aufgeführt und wurde in Deutschland bisher wahrscheinlich kaum zur Trennung der beiden Arten verwandt.
· Bei Chara contraria und C. vulgaris treten immer wieder Formen auf, die unberindete Quirläste und z.T. auch unberindete Sprosse aufweisen (Beleg von Peter Wolff). Die Abtrennung zu Chara denudata ist nicht in allen Fällen klar. Nach Auskunft von Joop van Raam gibt es zuverlässige Angaben von Chara denudata aus dem Bodensee, die aber nur von Tauchern erfasst werden können. Im Rahmen der DGL-Tagung 2008 in Konstanz wird diesen Vorkommen nachgegangen (K. van de Weyer).
· Die Abgrenzung zwischen Chara horrida, Chara baltica und Chara baltica f. liljebladii ist auch nach molekulargenetischen Befunden zweifelhaft. Eine Trennung zeigt sich jedoch zwischen Chara baltica aus der Ostsee und der französischen „Chara baltica“ (I. Blindow).
· Weitere bestimmungskritische Characeen wurden diskutiert (Nitella mucronata – N. gracilis, Chara hispida – C. polyacantha – C. aculeolata, Chara globularis – C. virgata).
· Chara filiformis kommt auch in der Schweiz vor und hat damit keine rein östliche Verbreitung.
Exkursionen
· Sandgrube westlich Stockstadt (westlichste von dreien) – 6116/43: Chara contraria, Chara globularis, Chara tenuispina, Chara vulgaris, Nitellopsis obtusa. Der Fund von Chara tenuispina wurde von Joop van Raam bestätigt. Im Gelände wurde das Material als Chara hispida angesprochen. Es handelt sich um einen Neufund für Hessen und das 2. bekannte Vorkommen in Deutschland.
· Riedsee w Leeheim – 6116/23: Nitella confervacea, Nitella tenuissima, Chara contraria, Chara hispida
· Teiche am Kälberteicher Hof auf dem Kühkopf – 6116/32: Nitella confervacea, Nitella syncarpa, Nitella tenuissima, Tolypella intricata, Chara globularis, Chara vulgaris
· Wechselsee n Biebesheim – 6216/21: Chara contraria, Chara globularis, Nitellopsis obtusa [Nachexkursion T. Gregor & L. Meierott]
· Hammeraue nw Groß-Rohrheim – 6216/41: Chara contraria, Chara globularis, Chara vulgaris, Nitella confervacea, Nitella tenuissima, Nitellopsis obtusa [Nachexkursion T. Gregor, L. Meierott & U. Raabe]
Publikation der Vorträge
· Die Vorträge der Tagungen 2006 und 2007 sollen in den Rostocker Meeresbiologischen Beiträgen veröffentlicht werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, weiter Themen zu Characeen in diesem Band zu publizieren. Die Manuskripte müssen bis zum 01.03.2008 bei Hendrik Schubert vorliegen.
Abschlussdiskussion
· Es wurde noch einmal auf die Bedeutung des Sammelns von Herbarbelegen hingewiesen um Bestimmungen auch zu einem späteren Zeitpunkt überprüfen zu können.
· Ein Bestimmungsschlüssel soll erarbeitet werden. Ansprechpartner könnte der DJN sein.
· Die Adressenliste soll überarbeitet werden. Sie wird nicht ins Internet gestellt, aber dem Protokoll angehängt mit der Bitte um Überprüfung, Kontrolle und Ergänzungen. Sie soll um Interessenten aus Österreich, der Schweiz und anderen unmittelbaren Nachbarländern ergänzt werden.
· Die Tagung soll deutschsprachig bleiben, einzelne Vorträge können aber auch auf Englisch gehalten werden.
· Nach der IRGC-Tagung 2008 soll ein Beitrag zu bestimmungskritischen Characeen erscheinen (I. Blindow, K. van de Weyer).
· Irmgard Blindow bittet alle, die noch kein Zirkular zur IRGC erhalten haben, sich so bald wie möglich mit ihr in Verbindung zu setzen (blindi@uni-greifswald.de).
· Hendrik Schubert will sich der Aktualisierung der Homepage widmen, das wird allerdings bis Januar dauern.
Programm 2008
· 2008 findet die internationale Characeen-Tagung in Rostock statt. Programm und Anmeldung bei Irmgard Blindow: blindi@uni-greifswald.de. Aus diesem Grunde wurde beschlossen 2008 nur ein Kurztreffen in Sachsen-Anhalt durchzuführen. Die Vorbereitungen übernehmen H. Schubert und D. Frank. Termin der Tagung voraussichtlich 14./15. Juni.
Protokollerstellung: T. Gregor unter Mithilfe von Irmgard Blindow, Angela Doege, Heiko Korsch, Uwe Raabe, Hendrik Schubert und Klaus van de Weyer.